|
Eröffnung: 4. Juni1954 als Hennigsdorf Süd |
Nächster Bahnhof Richtung Kremmen: Hennigsdorf |
Schließung: nach dem 13. August 1961 | Nächster Bahnhof Richtung Schönholz: Heiligensee | |
Bahnhof vollständig rückgebaut | Telegraphische Abkürzung: Sto für Stolpe Süd |
|
Lage im Streckennetz: Kilometer 17,9 der Strecke Schönholz—Kremmen. | ||
|
||
Zum Titelbild: Grenzer und Reichsbahner feiern, vielleicht einen Geburtstag. Jedenfalls konnte der unbekannte Fotograf bedenkenlos fotografieren. Eine Tätigkeit, die den normalen Fahrgast strengstens verboten war. Unbekanntes Datum
|
„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser" - der Kontrollbahnhof Stolpe Süd, im Volksmund „Eierbahnhof" genannt
Wer hatte das o.a. Zitat, das Lenin zugeschrieben wird, tiefer verinnerlicht als die DDR-Führung?[1] Die Kontrollbahnhöfe im Berliner S-Bahn Netz veranschaulichten die Kontrollbesessenheit der DDR ganz
besonders und stellten die absonderlichsten Einrichtungen im S-Bahn Netz dar. Seit dem 28. Mai 1952 durften West-Berliner Einwohner nur noch mit einer Einreisegenehmigung in das DDR-Umland (ausgenommen war die Sektorengrenze nach Ost-Berlin) einreisen. Die Straßen ins Umland waren durch Straßensperren unpassierbar gemacht. Einige Grenzübergänge (z.B. an der Grenze Frohnau/Glienicke durften nur von DDR-Bewohnern für die Einreise nach West-Berlin passiert werden. Die S-Bahn fuhr weiterhin ungehindert von den Westsektoren ins Umland. Um das Einreiseverbot für West-Berliner Bürger ins DDR-Umland auch durchsetzen zu können, wurden die S-Bahn-Reisenden seit 1952 an der Stadtgrenze Ausweis- und Gepäckkontrollen unterzogen. Kontrollbahnhof auf der Kremmener Bahn war Hennigsdorf.
Die Fahrplananordnung 31/11 vom 2.6.1954 regelte die Inbetriebnahme des neuen Bahnhof Hennigsdorf Süd. Oben Auszüge aus der Fplo.
Anfangs hatten die Kontrollmaßnahmen keinen großen Einfluß auf den Fahrplan. Das änderte sich, als ab 18. Mai 1953 sogenannte Durchläuferzüge im Berliner S-Bahnnetz verkehrten.[2] Diese Züge waren für politisch exponierte Umlandbewohner vorgesehen, die auf ihrer täglichen Fahrt nach und von dem Berliner Ostsektor vor den „Verlockungen" des Kapitalismus geschützt werden sollten. In den Westsektoren hielten sie deshalb an keinem Bahnhof, daher der Name Durchläufer. Die Durchläufer sorgten auf der Kremmener Bahn teilweise für chaotische Zustände. Die seit 1945 von Schönholz nach Velten eingleisige Strecke ließ einen 30 Minuten-Takt zu. Die zusätzlich eingelegten Züge sorgten für Verspätungen und Zugausfällen, der Fahrplan wurde zur Makulatur. Mit der Inbetriebnahme des wenig bekannten Kontrollbahnhofs Hennigsdorf Süd am 4. Juni 1954 entspannte sich die betriebliche Lage wieder. Gleichzeitig mit der Inbetriebnahme von Hennigsdorf Süd entfielen die Kontrollen im benachbarten Bahnhof Hennigsdorf. Der Bahnhof lag zwischen der Stadtgrenze bei Heiligensee und der Havel. Er bestand aus dem wieder aufgebauten zweiten Streckengleis, zwei Stellwerken B4 und W3, zwei Weichen und einen Mitelbahnsteig. Den hölzernen Mittelbahnsteig erreichte man durch eine Holztreppe niveaufrei zwischen zwei Unterführungen am westlichen Ende des Bahnhofs. Unten am Bahndamm befanden sich die Kontrollbaracken.
Die Dienstanweisung zur Bedienung des Bahnhofes Hennigsdorf Süd
Dank eines Fundes im Archiv von Herrn Peter Bley kann ich Ihnen Details zur Inbetriebnahme des Bahnhofes Hennigsdorf Süd mitsamt eines Gleisplanes präsentieren. Es ist die Dienstanweisung für die Bedienung des Kreuzungsbahnhofes, die interessante Einblicke in die Betriebsdurchführung gewähren:
I. Lageplan siehe Anlage
II. Allgemeines:
An einem noch fernschriftlich bekannt zu gebenden Tage wird die Kreuzungsstelle Hennigsdorf Süd in Betrieb genommen. Die Kreuzungsstelle untersteht dem Bahnhof Hennigsdorf bei Berlin und erhält das telegraphische Rufzeichen Hds.
III. Sicherungsanlagen:
Es sind vorhanden:
a) das Befehlsstellwerk B4
Der Fdl B4 bedient:
1.) Die Einfahrweiche 4 und den zugehörigen Riegel
2.) Das Einfahrsignal M1/2
3.) Das Ausfahrsignal L
b) das Wärterstellwerk W3
Der Wärter bedient:
1.) die Weiche 1 von Hand und das zugehörige Riegelschloß
2.) die Ausfahrsignale I und K
3.) das Einfahrsignal (Hls) G
Zwischen dem Fdl B4 und dem Ww W3 besteht Bahnhofsblockung. Desgleichen besteht für die Einfahrten von Hls nach Hds und für die Einfahrten von Hds nach Hls Bahnhofsblockabhängigkeit zwischen den Fdl‘en Hls und Hds.
Der Streckenblock Hnd - Hds endet und beginnt in Hds.
Der Streckenblock Szf - Hls endet und beginnt in Hls.
Die Bedienung der Sicherungsanlagen erfolgt nach Maßgabe der ausliegenden Verschlußtafeln.
IV. Betriebliche Anordnungen:
a) Zugmeldeverfahren:
Das Zugmeldeverfahren ist auf dem Fernschreiber durchzuführen. Sämtliche Züge sind zwischen Hnd - Hds - Hls anzubieten und Anzunehmen. Das Rückmelden entfällt solange die Blockeinrichtung ordnungsgemäß arbeitet (Streckenblock C). Der Fdl Hds hat das Zugmeldebuch für eingleisige Strecken zu führen. Mit Inbetriebnahme des Kreuzungsbahnhofs Hds wird der bisher beim Fdl Hls für den Streckenabschnitt Hls - Hnd ausliegender Erlaubnischein eingezogen. Der Erlaubnischein für den Streckenabschnitt Berlin-Heiligensee—Hennigsdorf Süd wird vom Fdl Heiligensee, der Erlaubnischein für den Streckenabschnitt Hennigsdorf Süd—Hennigsdorf bei Berlin wird vom Fdl Hnd aufbewahrt.Die Geschwindigkeit beim Fahren auf Sicht beträgt bei Tage höchstens 30 km/h, für die Dunkelheit werden höchsten 15 km/h zugelassen.
Fahrwegprüfung:
b) Der Fdl der Kreuzungsstelle B4 ist für die Fahrwegprüfung vom km 17,8 - 18,4 verantwortlich und der Wärter (W3) vom km 17,460 - 17,8 verantwortlich. Der Fdl kann bei besonderen Vorkommnissen während der Dunkelheit oder bei unsichtigem Wetter die Aufsicht zur Prüfung des Fahrwegs beauftragen.
Der Dvst des Bahnhofs Hennigsdorf nimmt entsprechende Anordnungen in das aufzustellende Bahnhofsbuch auf
c) Gleichzeitige Einfahrt von beiden Seiten:
Bei Zugkreuzungen mit elektrischen S-Bahnzügen darf der aus Richtung Berlin kommende Ps auf Signal F1 nach Gleis 1 und der aus Richtung Velten kommende Ps auf Signale M2 nach Gleis 2 gleichzeitig einfahren, solange die Fahrsperre der Ausfahrsignale L und K2 von in Betrieb sind (FV § 24 (1) beachten).
Wenn die Fahrsperren der Ausfahrsignale L und K2 oder auch nur die Fahrsperre eines dieser Signale gestört ist, darf dem zweiten Zug erst die Einfahrt gestattet werden, wenn der erste Zug den Ausfahrweg des anderen geräumt hat und am Bahnsteig zum Halten gekommen ist. Durchfahrten sind nur über Gleis 1 zugelassen.
d) Durchrutschwege:
Während der Einfahrt eines Zuges in die Kreuzungsstelle Hennigsdorf Süd ist das Einfahrgleis freizuhalten:
1. für einen Zug aus Richtung Berlin bei Einfahrt in Gleis 1 bis zum Grenzzeichen der Weiche 4,
2. für einen Zug aus Richtung Velten bei Einfahrt in Gleis 2 bis zum Grenzzeichen der Weiche 1.
e) Abfahrauftrag:
Der Abfahrauftrag wird den Zügen - nach den Stellen des Ausfahrsignals - durch die Aufsicht mit Befehlsstab (Zp 9) erteilt. Bei Nichtbedienbarkeit der Ausfahrsignale ist der schriftliche Befehl Ab durch den Fdl auszustellen und durch die Aufsicht den Zf vor Erteilung des Abfahrauftrages zu übergeben.
f) Zuständige Sperrzugmeldestelle:
Für das Aussprechen unvorhergesehener Sperrungen nach FV § 30 (4b) ist der Fdl Hls für den Streckenabschnitt Hls - Hds und der Fdl Hnd für den Streckenabschnitt Hds - Hnd zuständig.
g) Unfallmeldebezirke:
Die Kreuzungsstelle gehört zum Unfallmeldebezirk des Bahnhofs Hennigsdorf (b. Berlin)
V. Der Dvst des Bahnhofs Hnd stellt beschleunigt das Bahnhofsbuch mit dem Zugschlußstellenverzeichnis, Verzeichnis besetzter Gleise, Verzeichnis der verantwortlichen Beschäftigten für die Nachprüfung der Signalbeleuchtung auf. Diese Unterlagen sind dem Amt zur Genehmigung vorzulegen.[3]
Folgende Aspekte fallen bei dieser Dienstanweisung besonders auf: Der Wärter des Stellwerks W3 bedient die Weiche 1 per Hand und verschließt sie mittels Riegelschloss. Außerdem bediente er das Einfahrsignal (!) G des Bahnhofes Heiligensee. Heute wäre das Signal G betrieblich ein Zwischensignal. Diese ungewöhnliche Konstellation weist darauf hin, dass das Stellwerk Hnt außer Betrieb gesetzt wurde, weil es betrieblich nicht mehr notwendig war.
Anfangs diente der Bahnhof ausschließlich Kontrollzwecken und war der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Was passierte einen West-Berliner Bürger, der versehentlich zu weit gefahren war (z.B. in der S-Bahn eingeschlafen) und in Hennigsdorf Süd aus dem Zug geholt wurde? Zeitzeugen erinnern sich, dass der Delinquent neben Durchsuchungen ein strenges Verhör erdulden musste. Kam die Grenzpolizei zu der Erkenntnis, dass der Mensch kein Spion oder im DDR-Sprachgebrauch „subversives Element" war, wurde er nicht etwa sofort entlassen. Nein, er mußte die Nacht in der Kontrollbaracke verbringen, bis nächsten Morgen die erste S-Bahn fuhr. Aber nicht nur illegal eingereiste West-Berliner traf der sozialistische Arm des Gesetzes. Der im Volksmund „Eierbahnhof" genannte Kontrollbahnhof Hennigsdorf Süd kommt nich von irgendwo her. Die Umlandbewohner wollten ihre Erzeugnisse, unter anderem auch Eier, in West-Berlin verkaufen, um an Westgeld zu gelangen. Bei Umtauschkursen von teilweise 10:1 nur allzu verständlich. Andererseits war es der DDR gar nicht recht, wenn Erzeugnisse nicht der sozialistischen Wirtschaft zu gute kamen sondern statt dessen beim verhassten Klassenfeind verkauft wurden. Wer bei den Kontrollen beim Schmuggeln erwischt wurde, dem wurde die Ware konfisziert. Die Fahrzeit zwischen Heiligensee und Hennigsdorf betrug laut Fahrplan gültig ab 2. Oktober 1955 sieben Minuten. Diese Fahrzeit teilte sich in drei Minuten Fahrzeit und insgesamt vier Minuten für Kontrolle und Abfertigung des Zuges auf.
Am 3. November 1958 wurde der Bahnhof für den öffentlichen Fahrgastverkehr freigegeben und somit zu einem echten S-Bahnhof. Der Fahrgastandrang dürfte sich aber in Grenzen gehalten haben bei den wenigen Einwohnern von Stolpe Süd. Knapp ein Jahr später, am 4. Oktober 1959, wurde der Bahnhof in Stolpe Süd umbenannt. Noch waren dem Bahnhof knapp zwei Jahre Zukunft beschieden, bis ihn der Mauerbau am 13. August 1961 überflüssig machte. Weil er den Ausbau der Grenzsicherungsanlagen im Wege stand, wurden die Bahnhofsanlagen komplett beseitigt. Nur die ehemalige Unterführung eines Weges und Zugang zum Bahnhof blieb als Fundament für einen Wachturm stehen. Sie wurde erst 1998 beim Wiederaufbau der Strecke abgetragen.
Der Bahnhof bekommt ein Gesicht - Anmerkungen zu den Fotos
Vom Kontrollbahnhof Stolpe Süd gibt es meines Wissens bis heute keine Fotos. In den bisherigen Veröffentlichungen - insbesondere Publikationen zum Mauerbau - wurde auf ein Foto aus dem Landesarchiv Berlin zurückgegriffen, das das Stellwerk W3 und das durchgetrennte Gleis nach dem 13. August 1961 zeigt. Fotografien der Bahnhofsanlage sind, wenn überhaupt vorhanden, selten, weil das Fotografieren in diesem sensiblen Bereich verboten war. Umso erfreuter war der Autor über das Auftauchen zweier Fotos, die wenigstens einen Teil des Bahnhofs zeigen. Der Fotograf gehörte entweder der Grenzpolizei oder der Deutschen Reichsbahn an. Anlass war wohl eine Feier, wie das erste Bild zeigt. Im zweiten Bild erkennt man den Treppenabgang zu den Kontrollbaracken. Hinter den Personen befindet sich eine Schranke, die den allzu spontanen Zutritt zum Gleis verhindern sollte.
[1] Das Zitat bei Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Vertrauen_ist_gut,_Kontrolle_ist_besser!
[3] Dienstanweisung für die Bedienung der Kreuzungsstelle Hennigsdorf Süd in Km 18,000 der Gemeinschaftsstrecke Berlin Schönholz(Tga) Velten (Mark) zwischen den Bahnhöfen Berlin-Heiligensee und Hennigsdorf bei Berlin vom 26. Mai 1954, Sammlung Archiv Peter Bley
Quellen und weitere Links
[2] http://www.stadtschnellbahn-berlin.de/geschichte/durchlauf/index.php